Galerie.Z
   

Heike Reidinger

Rede auf Liu Zijian, Hu Chijun, Mo Di, Wu Zhi Hua, Song Ta und ihre Ausstellung Papierarbeiten aus Südchina in der Galerie.Z in Hard am 29.7.2010

Als mich Anfang Juni Arno Egger fragte, ob ich diese Vernissagerede halten würde, sagte ich gerne zu. Es klang auch allzu interessant. Papierarbeiten aus China. Doch Moment! Da war schon mein erstes Problem. Kina oder (T)schina? Und überhaupt, was wusste ich viel mehr über chinesische Kunst, als dass es letzten Herbst im Haus der Kunst in München die Ausstellung
„So Sorry“ von Ai Wei Wei gab?

Nun ja, ich hatte von dem Künstleraustausch zwischen Vorarlberg und der südchinesischen Provinz Guandong gehört. Eben jenem Landstrich, von dem die Künstler kommen, die wir heute sehen. Genauer gesagt hatte ich den einen Teil der Ausstellung „Jenseits von großen Mauern (China) und kleinen Zäunen (Vorarlberg)“ gesehen. Eine Ost-West-Begegnung, bei der 16 zeitgenössische Vorarlberger Künstler im University City Art Museum der Academy of Fine Arts in Guangzhou ausgestellt waren. Im Gegenzug fanden die Werke von elf chinesischen Künstlern den Weg ins Palais Liechtenstein in Feldkirch. Das war im Januar.

Sonst war China – das Reich der Mitte – für mich ein weißer Fleck auf der Kunst-Landkarte. Vielleicht ging es mir da gar nicht so anders wie Ihnen heute. Doch ich hatte Glück! Nämlich in der Form, dass ich Lizzie Lin, die Kuratorin – und Dozentin an der Academy of Fine Arts in Guangzhou –  kennenlernen durfte. Sie hat zusammen mit Arno Egger, selbst einer der Künstler, die letzten Herbst nach China gereist sind, die Ausstellung in der GalerieZ auf die Beine gestellt. Und sie hat mich in die Denkweisen der vier jungen und des einen etwas älteren Künstlers eingeführt.

Die nächste, der ich danke, ist Eva Häfele, die mit einem wunderbaren Beitrag in dem Katalog zur Ausstellung in Feldkirch vertreten ist – und weiteren sieben Autoren, deren Bücher ich zumindest quergelesen habe. Das Kapitel „Zeitgenössische Kunst in China“ ist nämlich längst aufgeschlagen. Spätestens seit dem Jahre 1979, als die so genannte Xingxing oder Stern Gruppe in das Licht der Welt-Öffentlichkeit rückte. 1979 – das ist drei Jahre nach dem Tod Mao Zedongs und drei Jahre nach dem Ende der Kulturrevoltion. Diese experimentelle Künstlervereinigung entzog sich dem Würgegriff der kommunistischen Kunst-Orthodoxie mit unangemeldeten Protestaktionen. Weil eine Ausstellung in der Staatlichen Chinesischen Kunstgalerie verboten worden war, veranstalteten sie kurzerhand eine Straßen-Ausstellung und Demonstrationen.

Sechs Jahre später wurde die „Gemäldeausstellung chinesischer Nachwuchskünstler für den Weltfrieden“ in Peking veranstaltet. Obwohl größtenteils Werke ohne politische Botschaften gezeigt wurden, öffneten sich sprichwörtlich die Schleusen in die globalisierte Welt (und Marktwirtschaft).

Neue Perspektiven auf Raum und Zeit und die Integration zeitgenössischer westlicher Elemente sind für die „85er Bewegung“ oder den „New Wave 85“ kennzeichnend. Aber wichtiger noch ist, dass diese Bewegung die Individualität des Menschen in den Vordergrund stellt.

Heute zeigt sich die chinesische Kunst in einer unüberschaubaren Vielfalt. Ai Wei Weis Han-Vase mit dem Coca-Cola Schriftzug von 1993 hat längst Kultstatus erreicht. Mit seinen in weiße Farbe getauchten Vasen aus vergangenen Dynastien zerstört er die kulturelle Tradition des Riesenreichs China – oder interpretiert er sie neu? Und Zhang Hang vollzog mit seinen Aktionen, etwa einer Performance, bei der er mit Honig und Innereien bedeckt auf einer Toilette sitzt, den Wandel vom Bild zum Sinnbild.

Wozu dieser Ausflug in die jüngere chinesische Kunstgeschichte, wo wir doch hier Papierarbeiten sehen, die auf den ersten Blick wie traditionelle Tuschearbeiten anmuten? Nun, ich habe ein sehr schönes Zitat über die klassische Malerei gefunden. „Chinesische Malerei ist zuerst und vor allem Kunst der Linie", heißt es in einem Buch von 1961. Und weiter: „Mit einem einzigen Pinsel kann ein ganzes Bild gemalt sein. Schwer mit Tusche durchtränkt, benutzt man ihn zum Grundieren ganzer Flächen. Aber wichtiger ist, dass man mit ein und demselben Pinsel verschiedene Linien malen kann: dicke, dünne, feste, bewegte, nasse, trockene.“

Ja, der Pinsel dominiert bei den drei großformatigen Arbeiten von Liu Zijian. Jedoch – das sind keine Landschaftsdarstellungen. Oder wenn doch, eher so etwas wie Seelenlandschaften. Darum geht es dem in China berühmten Künstler: das Innere nach außen kehren, die Gefühle und die Seele offen legen. Lage um Lage. Schicht um Schicht. Ebene um Ebene. Das macht Liu Zijian auf seine eigene Weise. Die Tusche, die der 54-Jährige verwendet (und verwischt), ist schwarz wie die Nacht. So tief (und unergründlich) wie das Universum (in Liu Zijian). Kein Zufall, Tusche gilt in China nicht nur als Malmittel, sondern als Synonym für die Persönlichkeit des Künstlers. Das hat mir Lizzie Lin verraten. Eine schöne Umschreibung dessen, dass in diese Arbeiten nicht nur die schöpferische Kraft, sondern quasi das Herzblut des Künstlers fließen. „Es“ fließt aus ihm heraus. In explosionsartigen Ausbrüchen verbreitet sich eine ungeheure Dramatik und Dynamik auf der Fläche. Das Herz als Quelle großer Energie.

Guangzhou ist eine 13-Millionen-Stadt im Süden von China. Also fernab vom berühmteren Peking, dessen Kunst als moderner, realistischer, kommerzieller, marktorientierter wahrgenommen wird. In Guangzhou möchte man sich dagegen das Experimentelle, Individuelle, Eigenständige bewahren. Und das ist für mich auch das Kernthema dieser Ausstellung. Wie bewahrt man seinen Charakter, sein Gesicht, seine Identität – angesichts einer millionenfach (stereotypen) Masse?

Auch die erst 23-jährige Künstlerin Mo Di zeigt uns ein Stück ihrer selbst. Was wir hier sehen, sind ihre Träume. Mit Tusche werden nächtliche Szenen festgehalten. Es sind Ausschnitte aus Geschichten, die nicht mehr ganz fassbar sind, aber doch noch nachwirken. Erinnerungen aus der Kindheit etwa. Sehnsüchte nach Geborgenheit vielleicht (die Umarmungen?). Erwartungen in der Schule womöglich (die Muster auf den Schulheften?). Die Abfolge der Blätter erinnert mich an Comics oder Storyboards, nicht zuletzt wegen des Textes. Doch auch der ist nur in Fragmenten vorhanden, zudem auf Englisch. Eben Traumgespinste. Die inneren Bilder und individuellen Gefühle sind von Mo Di intuitiv auf Papier gebracht. Mit Geradlinigkeit, mädchenhafter Sensibiltiät – und Vertäumtheit.

Kommen wir zum Schreibtisch da in der Ecke. Song Ta liefert uns  gewissermaßen eine Sozialstudie. Nur, statt be-schreibend geht er be-zeichnend vor. Zum Beispiel im „Port Office of City“. Die Menschen in den Büros chinesischer Ministerien hat Song Ta mit besonderem Gespür für das Gegenüber porträtiert. Was augenfällig ist, ist das Verhältnis von Innen und Außen. Von Binnenzeichnung und Kontur. Scharf umrissen von einer roten Linie (Rot steht für Rot-China), unterscheiden sich die Figuren kaum in ihren Posen. Durch die Bank weg wirken sie unbeweglich, statisch, genormt. Aber die Gesichtszüge! Hier sind die wesentlichen Unterschiede zu erkennen. Das Individuelle in den Gesichtern wird von Song Ta in einer Art Detektivspiel gesucht – und festgehalten. Übrigens: 61 Umschläge sind es, Sie müssen nicht nachzählen.

Draußen im Flur warten noch weitere Gesichter auf Sie. Einmal das großformatige Werk von Wu Zhi Hua. Auf einen bemalten, verwischten Hintergrund hat er mit Kugelschreibern in Rot, Blau und Schwarz staunende, weinende, kämpfende Gesichter gesetzt. Und dann die fünf farbintensiven, temperamentvollen Porträts von Hu Chi Jun, die er bei indonesischen Stämmen gemalt hat. Man sieht ihnen an, dass er bestens vertraut ist mit der Technik realistischer Malerei, so meisterhaft sind sie ausgeführt. Vor allem die eindringlichen Augen scheinen einen nicht mehr loszulassen.

Ja, das war mein Streifzug nach China, an dessen Ende ein Dankeschön fürs Zuhören steht – und die Auflösung, wie man das Reich der Mitte laut Aussprache-Duden richtig ausspricht: mit weichem „ch“ wie bei „ich“. Aber der Duden weiß auch, dass die Süddeutschen und Österreicher das „Kina“ bevorzugen.
In diesem Sinne: viel Freude mit der Kunst aus Kina!

 

 
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